Frauen kommen irgendwann in die Wechseljahre, Männer haben eine Midlife-Crisis. Das scheint „Allgemeinwissen“ zu sein. Forschungsergebnisse sagen etwas anderes: Auch bei Männern fällt mit zunehmendem Alter der Pegel weiblicher Sexualhormone – somit gibt es auch so etwas wie Wechseljahre beim Mann – und damit auch eine Östrogendominanz beim Mann.
Haben Männer Östrogene?
Dabei denkt man beim Thema Männer und Hormone nicht unbedingt an Östrogene – das männliche Sexualhormon heißt doch Testosteron, oder? Tatsächlich bedeutet „weiblich“ und „männlich“ im Bezug auf Sexualhormone nicht, dass diese ausschließlich beim Mann oder ausschließlich bei der Frau vorkommen. Auch Frauen haben Testosteron und auch Männer haben Östrogene und Progesteron (Gelbkörperhormon) im Körper. Lediglich die Menge variiert stark, abhängig vom Geschlecht. Denn während Östrogene für Merkmale wie die weichen Gesichtszüge, die helle Stimme oder die geringe Körperbehaarung einer Frau verantwortlich ist, sorgt Testosteron für markante Gesichtszüge, stärkeres Muskelwachstum, dominanteres Verhalten und vieles Mehr. Kurz gesagt: eine Dominanz des jeweiligen Sexualhormons sorgt dafür, dass Männer männlich sind und Frauen weiblich.
Trotzdem braucht auch ein Mann weibliche Hormone – denn diese erfüllen vielfältige, wichtige Aufgaben im Körper, unter anderem im Zusammenhang mit der Zellalterung und der Gewichtsregulation. Wie hoch dieser Pegel genau ist und welche Zusammensetzung „normal“ ist, lässt sich zwar grob bestimmen, variiert aber von Mensch zu Mensch.
Gibt es Wechseljahre beim Mann?
Bei einer Frau beginnt der Abfall der weiblichen Hormone mit etwa 35 Jahren. Ab diesem Zeitpunkt ist es biologisch nicht mehr notwendig oder sinnvoll, dass eine Frau sich fortpflanzt. Denn in der Evolution der Menschheit werden wir Menschen erst seit sehr, sehr kurzer Zeit so alt – früher, also in den vielen Millionen Jahren vor unserem Jahrhundert, war die durchschnittliche Lebenserwartung einer Frau weit unter 50 Jahren, die eines Mannes noch geringer. Mit über 35 ein Kind zu bekommen hieße also, es möglicherweise alleine lassen zu müssen, bevor er alleine überlebensfähig ist. Wahrscheinlich ist das die biologische Ursache, dass mit 35 Jahren allmählich weniger Eisprünge stattfinden und damit das Gelbkörperhormon Progesteron zurückgeht. Etwa 10 Jahre später beginnt dann bei vielen Frauen der richtige Wechsel – der Östrogenspiegel geht ebenfalls zurück und bekannte Symptome der Wechseljahre setzen ein:
- Verlust kognitiver Fähigkeiten
- Hitzewallungen
- Schlafstörungen
- Depressionen
- Gewichtszunahme
- Haarausfall
- Verlust von Lebensfreude, Vitalität und Libido
- Nachlassen der Gesundheit
Wie ist das beim Mann? Auch bei Männern lässt der Spiegel der weiblichen Sexualhormone langsam nach. Allerdings beginnt diese Veränderung bereits mit ca. 20 Jahren, dafür sehr, sehr langsam. Erst mit etwa 50 Jahren ist der Spiegel so niedrig, dass die meisten Männer das auch körperlich und psychisch zu spüren bekommen. Auch sie leiden unter gängigen Beschwerden der Wechseljahre. Weil bei einem Gang zum Arzt jedoch in der Regel nur der Testosteronspiegel untersucht wird, welcher als Folge geringer Progesteron- und Östrogenspiegel ebenfalls niedrig ist, bleibt diese Tatsache unentdeckt. Eine Therapie mit Testosteron kann vielleicht die Libido erhöhen, die restlichen Symptome bleiben aber. Gleichzeitig werden viele Männer durch das zusätzliche Testosteron regelrecht aggressiv. Wenn ein Mann dann versucht, mit dieser großen Veränderung in der körperlichen Selbstwahrnehmung und Befindlichkeit irgendwie anders umzugehen, wird das daraus resultierende Verhalten als „Midlife Crisis“ abgetan. Das ist dann eben die Psyche, der Mann kommt mit dem Älterwerden nicht klar.
Östrogendominanz beim Mann?
Nun da klar ist, dass auch Männer unter einer Veränderung bzw. Verringerung der weiblichen Sexualhormone leiden, liegt ein Schluss nahe: ein Missverhältnis zwischen Östrogenen und Progesteron kann, genau wie bei Frauen, zu unangenehmen Folgen führen. Es gibt auch eine Östrogendominanz beim Mann. Allerdings liegt das ideale Verhältnis von Östrogenen zu Progesteron hier nicht wie bei Frauen bei 1:100, sondern bei 1:30. Das heißt, der Progesteronspiegel ist bei Männern verhältnismäßig niedriger. Probleme ergeben sich daraus trotzdem, denn zu viel wenig Progesteron bedeutet meist auch zu viel Östrogen – und damit zu wenig Testosteron. Das heißt, die Ausprägung der typischen Geschlechtermerkmale werden unterdrückt und die Fruchtbarkeit beeinträchtigt. Doch auch das Missverhältnis an sich bringt Probleme, ähnlich denen bei Frauen mit Östrogendominanz.
Bei Männern können unter anderem folgende Symptome auftreten:
- Potenzprobleme, geringe Libido
- Reduktion der Muskelmasse und Knochenschwund / Osteoporose
- Männerbrüste (Gynäkomastie)
- verringerter Bartwuchs
- Bauchfett
- Schilddrüsenunterfunktion
- sehr „weibliche“ Charakterzüge, wenig durchsetzungsstark
Die Therapie einer Östrogendominanz beim Mann ist ähnlich der bei der Frau. Es kann mit naturidentischen Sustanzen aus dem Labor gearbeitet werden oder mit Phytohormonen, also pflanzlichen Stoffen, die an denselben Rezeptoren wie Progesteron andocken können. Zusätzlich sollten aber folgende Punkte vorher abgeklärt werden:
- Liegt ein Zinkmangel bzw. Kupferüberschuss vor, dessen Behebung das Hormonsystem auch ohne Progesteroncreme wieder in Einklang bringen kann?
- Liegt ein hoher Alkohol-, insbesondere Bierkonsum vor? Alkohol, Hefe und Hopfen fördern die Östrogenbildung.
- Hilft eine Ernährungsumstellung oder ggf. Nahrungsergänzungsmittel?